Niederlausitzer Fundgrube

Abschrift aus: "Neue_lausizische_Monatsschrift 1800 Februar. Zweites Stück S. 120 ff."
(digitalisiert von Google, abgeschrieben von Bernhard Wagner)
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II. Merkwürdige Geschichte dreier Verbrecher.*)

Dobrilugk. – Friderike Erdmuthe Klinkhardtin, die älteste Tocher einer Predigerstochter, deren Ehemann, ein ehemaliger Studiosus und nachher abwechselnd bald Wirthschaftsverwalter bald Kinderlehrer, zuletzt von ihr entfernt lebte, legte hier in ihrem 15ten Jare, im Septbr. 1797, in den Miethswohnungen ihres Dienstherrn, des Advok. Bayer, mit dem sie selbst durch die Bande der Schwägerschaft befreundet war, zu zweien verschiedenen malen Feuer an. Bei dem ersten verzehrte die Flamme auf 5 Bürgergehöfte; wobei die Thäterin, ihr Butterbrod in der Hand, kalt und gefühllos zusah. Das zweite wurde im Aufgehen erstikt, da sie selbst die erste war, die es verrieth. Beide male unternahm sie die That Nachmittags beim Kaffeekochen, wo sie allein in der Küche beschäftiget war, indem sie glühende Kohlen in die Seitengebäude zu bringen wuste. Auf einigen Verdacht wurde sie eingezogen, und nach einigen kindischen Erdichtungen zum Geständnisse gebracht. Als einzigen Antrieb zu diesem wiederholten Verbrechen erklärte sie das Verlangen: "daß sie gern wieder zu ihrer Mutter gewollt habe, indem ihr bei ihrer Dienstherrschaft immer so üblich geworden sei." Haß und Rache ließ sich kaum voraussezen, da sie sich erst 6 Wochen ohngefehr hier aufgehalten hatte, noch keine sonderliche Bekanntschaft besaß, auch eben keinen Widerwillen gegen jemanden bliken ließ, vielmehr von den Verunglükten merkliche Freundschaftsbezeugungen genossen hatte. Wenn eine solche Mittheilung an das Publikum in diesen Blättern etwas mehr als blose Zeitungsnachricht und für den Psychologen brauchbar sein soll, so muß ich einige charakteristische Züge über die Inkulpatin mittheilen. Vor, bei und nach dieser zwiefachen Brandstiftung beging sie folgende Thorheiten und mindere Verbrechen, dergleichen man, nach Aussage ihrer Mutter, vorher nie an ihr wahrgenommen hatte. Nachdem sie eine Kaze mishandelt hatte, wirft sie eine Woche vor der ersten That ihres Dienstherrns Blumentöpfe vom Gestelle über die Wand in des Nachbars Garten, und bald darauf einen brennenden Lappen auf den Hof. Den Tag vor dem zweiten Anlegen entwendet sie ihrer Dienstherrschaft ein Stük Spizen ohne Werth und begräbt es im Garten, um es, wenn sie zu ihrer Mutter gehe, mit zu nehmen; wirft auch einige Puppensachen über die Gartenwand. In ihrem Gefängnisse, wo sie abwechselnd weint und lacht, ohne daß man ihr gerade Verrüktheit oder Blödsinn beizumessen genugsame Veranlassung zu haben glaubte, erwürgt sie anfangs einen Seidenhasen und rupft einer Taube den Schwanz aus, ob sie nachher sich schon an ein Hündchen und an die Amtsfrohnin eben so zärtlich als vormals an ihre Mutter anschloß. Ja den Nachmittag darauf, als sie ihr erstes Endurtel, nach welchem sie mit dem Feuer vom Leben zum Tode gebracht werden sollte, kaum mit ein paar Thränen im Auge angehört hatte, fädelt sie Brodwürfel an einen Faden, wirft sie durch das Gitterfenster ihres Gefängnisses auf den Hof und den Hühnern vor, und zieht diese an den mitverschlukten Fäden empor. Eines Tages in der Abenddämmerung streift sie ihr etwas zu geräumiges Geschmeide ab, hebt, nachdem sie ziemlich klug mit einem starken Drathstüke aus dem Laze den Leim von den Mauersteinen abgesondert hatte, die Steine aus der Mauer, und ist eben daran, zu entfliehen, als sie von der Amtsfrohnin darüber betroffen wird; ein andermal sucht sie die Kette mit einem Stükchen Glas zu durchfeilen. Über alle diese Unternehmungen weis sie keinen andern Grund anzugeben, als höchstens, daß sie gern wieder zu ihrer Mutter wolle, und beantwortet die meisten Fragen: warum sie das gethan? mit: nur so! – Ihr Körper- und Geisteszustand scheint sich durch folgende Umrisse schildern zu lassen: ihre Figur ist klein, unansehnlich und ohne Verhältnis; ihr Wuchs unterdrükt und unreif; ihr Gesicht verzeichnet und ohne besondern Ausdruk, als daß es eine gewisse Düsternheit der Begriffe verräth und von bleicher siecher Farbe; ihr Charakter ohne die geringste Haltung; ihr Bezeigen mehr kindisch und nachlässig, als ihren schon der Mannbarkeit nahenden Jaren angemessen; ihre Entschlüsse ohne besondere Überlegung, und ausgeführt, wie sie in ihr aufsteigen. Ich glaube daher an keinen beabsichtigten Zusammenhang unter den meisten ihrer Thorheiten und Verbrechen. Stumpfheit des innern Sinnes war in intellektueller und eine gewisse Bosheit in moralischer Rüksicht der Hauptzug ihres Charakters, welche leztere, da man den Antrieb, Schaden zu beabsichtigen, kaum ahnden konnte, mehr eine Spielart von übler, an Muthwillen grenzender Laune zu sein schien, wovon sie sich des eigentlichen Beweggrundes eben so wenig bewust war, als ihn vielleicht der strengste Beobachter zu erforschen vermochte. Ihre häusliche und Schulerziehung bestand aus eitel Stükwerk; denn bald bei ihren Ältern, bald bei den Grosältern, bald bei Verwandten erzogen, hatte sie binnen den 14 Jaren ihres Alters ihren Aufenthaltsort mehr denn zehnmal geändert, welche Unstätigkeit schon auf die Richtung eines erst werdenden Charakters den übelsten Einflus vermuthen läst, und während dieser Zeit bei 8 verschiedenen Schullehrern, die sie ihrem eigenen Geständnisse nach "für ein recht dummes Thier" erklärt, und vielleicht auch darnach behandelt hatten, einen verschiedenen Unterricht genossen. Wenn man eben so viele Ärzte in einer Krankheit brauchen wollte, so würde es schlecht um den Pazienten stehen. Ohnerachtet sie ihr eigener Grosvater zum Abendmahle vorbereitet hatte, so besas sie doch so wenig Religionskenntnis, daß sie kaum wuste, welcher Glaubensparthei sie zugethan sei, und die Geistlichen, welche nach ihrer Verhaftung sich noch mit ihrer Unterweisung im Christenthume beschäftigten, klagten bitterlich über ihre schwere Fassungskraft und den gänzlichen Mangel alles Triebes, etwas zu lernen. Ihr körperlicher Zustand scheint sich selbst dadurch noch in den Kinderstand zurükzusezen, daß er auch bis jezt die Spuren der Weiblichkeit zu erkennen zu geben anstand. Ihr zweiter Hauptvertheidiger trug daher auf eine Explorazion durch sachkundige Ärzte an. Sie geschah, und die Meinungen waren getheilt. Das Gutachten des Crumspreeischen Kreisfisikus, Dr. Hartmann zu Lübben, der sich durch die Einrichtung eines Hebammeninstituts auf Ständische Veranlassung zu seinem Vortheile so ausgezeichnet hat, entschied für einen mässigen Grad des Blödsinns, Einfalt und kindischer Dummheit, und für eine eigene, noch unerkannte Art des Wahnsinns. Das hiesige Fisikat behauptete, daß Inkulpatin blos, durch körperliche Krankheiten und durch unzweckmässige und schlechte Erziehung an Geist und Körper geschwächt, sehr eingeschränkte Verstandeskräfte, oder Schwachsinn, zeige, sie jedoch ihrer Sinne und Vernunft, der Erfahrung nach, so weit mächtig sei, um eine Zurechnung der Handlungen statt finden zu lassen; wohin auch das Resultat des verdienstvollen Beamten, C. R. und Amtmanns Vollard, über seine bei den Vernehmungen gemachten Bemerkungen ausfiel. Ganz an die leztern Gutachten schlos sich das der medizinischen Fakultät zu Wittenberg an; dem erstern aber trat das in der Folge von der Leipziger medizinischen Fakultät eingeholte bei, in dessen Gemäsheit die Inquisitin durch den dasigen Schöppenstuhl von aller Strafe losgesprochen und in das Zuchthaus nach Lukau in blose Verwahrung gebracht wurde. Das Resultat des leztern Gutachtens bestand in der Behauptung, daß die an der Inquisitin bemerkte kindische Einfalt allerdings einen mindern Grad des Blödsinns in sich schliese. Vielleicht verdient der Umstand einige Betrachtung, daß ihre Mutter während ihrer Schwangerschaft mit derselben, oder wenigstens während des Stillens, ein Feuer aufgehen gesehen, viel mit misgünstigen Verhältnissen zu kämpfen gehabt hat und daneben eine kränkliche, epileptische Person gewesen ist. Es ist interessant, alle jene mit so viel Gründlichkeit abgefasten Gutachten, die sich über ihr ganzes Leben, die Verhältnisse, unter denen sie ihr Dasein erhielt, und die Disposizion der Familiengesundheit der beiderseitigen Ältern ungemein lehrreich verbreiten, zu lesen, deren Untersuchungen sich sämmtlich über jene Grenze zu streiten scheinen, welche, noch ungewis und mit Bestimmtheit in abstracto schwer zu ziehen, den Schwachsinn von dem Blödsinne scheidet, auf welcher die Brandstifterin so dezidirt zu stehen schien, daß man kaum Zweifel für eine von beiden Gemüthsverfassungen ausschlieslich abzusprechen sich für hinlänglich begründet achten möchte. –

Übrigens ist die Klinkhardtin in wenig Jaren die 2te Weibsperson, welche in der Herrschaft Dobrilugk von der ordinären Strafe der Brandstiftung losgesprochen ward, indem eine gewisse Anna Elisabeth Barthelin, die in ihres Nachbars vom Hofe abgelegenen Scheune in ihrem 14ten Jare Feuer anlegte, ebenfalls wegen Blödsinns (aus Mutterwuth) losgesprochen wurde. Verheurathet an einen Bauersmann, den sie nicht leiden konnte, und von dem sie sich während ihrer kurzen Ehe nicht einmal berühren ließ, kehrte sie vielmehr ihre geheimen Blike auf einen jungen Burschen, von dem sie wachend und träumend erfüllt war. Auch sie wuste oder wollte keinen nächsten Antrieb zur That angeben. Im Tumult aufrührischer Triebe und brennend nach dem Gegenstande ihrer Vorstellungen begann sie, laut Urtheils der Ärzte, die That, indem ein solcher unbefriedigter Zustand mit einem innigen Durste nach dem Anschauen eines lohen Feuers verknüpft sein soll. –

Ich glaube, daß hier der Ort sei, auch den Verlauf einer vor 20 Jaren hier vorgefallenen, ziemlich charakteristischen Mordthat zu erzählen, welche beweist, wie sehr man sich im Umgange mit Menschen von gemeinem Schlage zu hüten habe, welche die Natur gewissermasen ungünstig behandelt hat, besonders auch für solche, welche zunehmend mit sehr schwerem Gehöre befallen sind, die oft bei der geringsten Veranlassung zum Argwohn geneigt und zu einem Jähzorne ohne Gleichen hingerissen werden. Johann Gottlob Höhne, Reitknecht in Diensten des verstorbenen Landjäger- und hiesigen Oberforstmeisters von Pful, welcher von seiner Herrschaft, der übrigen Bedienung und seinem eigenen Weibe das Lob der Verständigkeit und Verträglichkeit gerichtlich erhielt, schlägt im plözlich übereilten Jähzorne den Kutscher tod, mit dem er bis auf denselben Tag auf einen fast brüderlichen Fus gelebt hatte, und begiebt sich auf die Flucht, ohne die man nicht einmal den entferntesten Verdacht auf ihn, der von allen seinen Kameraden vertheidigt wurde, geschöpft haben würde. Der Anlaß war der scheinbare Verdacht, daß ihn der Kutscher seines schweren Gehörs halber bei der Herrschaft ausser Dienst zu bringen trachte, da doch nur von dessen Versezung als Aufseher auf ein Guth die Rede war, und einige unbedachtsame Äusserungen des Ermordeten, als jener ihm deshalb Vorwürfe machte, nämlich: mit dir tauben Kerl ist nichts anzufangen, du bist nichts mehr nüze auf der Welt; ich wollte dich von hinten todschlagen; du solltest es gar nicht merken, denn du hörst ja gar nichts!" Der sonst so friedsame Kamerad, durch diesen ungerechten Vorwurf innerlich gekränkt, ergreift ganz erbittert eine Wagenrunge, und versezt jenem damit einen Schlag, daß er von Sinnen zu Boden taumelt. Höhne, der ihn nur eins für sein loses Maul versezen will, durch den groben Ausfall aber erschüttert, denkt, es sei nun einerlei, er schlage ihn nun vollends gänzlich tod oder nicht, indem er doch einmal dafür – mit dem Leben büssen müsse, ergreift eine Streugabel und zerschmettert ihm den Gehirnkasten, um – dadurch seine Flucht zu deken! Mit der qualvollsten Unruhe im Busen irrt er nun von einem Orte zum andern, bis er endlich eingeholt wird, und – schneidet sich bei der Unachtsamkeit der Wächter die Kehle halb durch, wovon er jedoch wieder hergestellt ward, um seinen Lohn nach den Gesezen zu empfahen. So ward ein zweideutiger Verdacht und ein unbehutsames Scheltwort Veranlassung zu einem doppelten Verbrechen: zum Menschenmorde, und zum intendirten Selbstmorde, der Landschaft mehrere hundert Thaler Untersuchungskosten aufgewälzt, und ein Unglüklicher auf das Rad geflochten, der vielleicht als Christ in ruhiger Ergebung auf dem Sterbebette eingeschlummert wäre! Man siehet täglich sogenannte tölpische Menschen, welche gemeiniglich mit einer ungemeinen Stärke begabt sind, und die, wenn sie gereizt werden, von so gutmüthiger Laune sie auch sonst zu sein pflegen, in die ungezügelteste Hize übergehen, sich in den gemeinen Familien so gut, wie ohne Aufsicht, herumtreiben, Geschäfte verrichten, und oftmals dem Muthwillen der Kinder zum theuren Spotte preis gegeben. Sollten diese Menschen nicht in eine Art von Gemeinversorgung gebracht und den belasteten Familien abgenommen werden? Da, wenn sie in ungestümer Hize unabsichtlich einen Mord begehen, die rächenden Geseze, die sie nicht verstehen, nicht für sie geschrieben sind, so wäre das eine Anstalt, welche zur vollkommnen Sicherheit, die der Staat verspricht, dienen dürfte.

*)     Aus der Nazionalzeitung der Teutschen, 4 tes Stük, 1800.