130. Rössel: Der Grund mit Blick auf die Pfarrkirche

mehrere Stufen über das Straßenpflaster erhobenen Haustüren ein, und so kräftig setzt gleich diese neue Weise ein, daß die ganze Stadt das neue Gepräge vollkommen annimmt, es sich auch in allem Wesentlichen bis in unsere neue Zeit hinein erhalten hat.
    Diesem überaus stark auftretenden, von zwei wesentlichen Brennpunkten, dem herzoglichen Hofe und der bedeutendsten Hansestadt Ostdeutschlands ausgehenden Einflusse konnte sich Preußen selbstverständlich nicht entziehen. Darum sehen wir denn hier überall die neue Kunst geradeso schnell Fuß fassen, wie irgendwo im Reiche, wo man den Quellen derselben näher war. Ja, so sehr setzte sich diese Weise als die alleinherrschende durch, daß die hier geradezu "Danziger" genannte Abart der vlämischen Kunst Ostpreußen im städtischen nicht nur, sondern insbesondere auch im bäuerlichen Hausrate allein beherrschte, bis in unseren Tagen die Fabrik und der billige Schund begannen, alle eigene Kunst im Volke zu ertöten.
    So war mit der neuen Zeit eine neue Kunst nach Ostpreußen gekommen. Die Verhältnisse waren überhaupt freier geworden.

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131. Braunsberg: Die Kreuzkirche vor der Stadt an der Passarge, 1723 - 1731

Das Moment der Heiterkeit, ja fast der Ueppigkeit kam auch in diesem sonst so ernsten Lande in die Kunst hinein. Ueberall setzte man Dachreiter von der fröhlichsten Zeichnung auf die Rathäuser und baute Bürgerhäuser nach dem Danziger Vorgange. Die Städte bekamen ein ganz neues Gesicht. Ein Bild von der Kneiphöfischen Langgasse in Königsberg ist noch erhalten und zeigt, wie nahe diese Kunst mit der Danziger verwandt war. Die Kirchen stattete man, wo es in Frage kam, mit Türmen oder wenigstens doch Dachreitern der holländischen Form aus. Die Neuroßgärter Kirche in Königsberg und die Deutsche Kirche in Tilsit sind davon die stolzesten Beispiele. Herrensitze, wie Schlobitten und Willkühnen wurden gebaut, und vor allem das Innere der Kirchen gab schier unerschöpflichen Anlaß zu kunsthandwerklicher Betätigung. Fast das ganze kirchliche Schreinwerk, das ganze edle Altargerät, das wir heute haben, stammt aus den beiden ersten nachreformatorischen Jahrhunderten. Und das ist beachtenswert, in hohem Maße beachtenswert, weil gerade die Zeit des Dreißigjährigen

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Ostpreußische Fundgrube