Erlebnisbericht
von Robert Hartmann

Grundwehrdienst als Bausoldat - ein Erlebnisbericht

In Mitteldeutschland wurden während der DDR-Zeit auch Bausoldaten eingesetzt. Der vorliegende Bericht gibt die Motive und die Erlebnisse eines Bausoldaten wieder.

Mein Grundwehrdienst als Bausoldat in der NVA Mai 1988 bis Oktober 1989

Robert Hartmann
Saarstr.28
06846 Dessau

geb. 06.02.1962

Eingezogen am 03.Mai 1988
Entlassen am 26. Oktober 1989

Letzter 18 monatiger Grundwehrdienst der DDR.
0,4 - 0,7% aller Grundwehrdienstleistenden waren Bausoldaten.

Der Bericht soll wiedergeben, warum ich den Wehrdienst mit der Waffe ablehnte und wie der Grundwehrdienst eines Bausoldaten verlief. Der Bericht wurde im Dezember 2006 erstellt.

1. Warum wurde ich Bausoldat? Wir leben in einer Gesellschaft, wo es bis heute noch üblich ist, den Krieger als Helden zu sehen und ihn besonders zu ehren. Jeder heranwachsende Junge wird damit konfrontiert. Sein Selbstbild wird mit davon bestimmt. Es gibt ,,Die Guten” und es gibt ,,Die Bösen”, man muss sich entscheiden! Durch mein Elternhaus war ich geprägt worden, die Gesellschaft um mich herum konstruktiv und kritisch wahrzunehmen. Natürlich hatten die Pfarrdiensttätigkeit meines Vaters und das kirchliche Umfeld einen erheblichen Einfluss.
Als Kind und heranreifender Jugendlicher sucht man sich Helden. Helden und Vorbilder werden durch die Gesellschaft geprägt. Es ist üblich, siegreiche Kämpfer dafür zu verwenden. In der Regel werden, der gesellschaftlichen Ausrichtung entsprechend, heroische, tapfere, aufopferungswillige Persönlichkeiten vorgeführt. In der Geschichte waren es Feldherren, Volkestribune und Einzelkämpfer, die mit Gewalt und Macht für ihr Volk, für ihren Clan oder für eine Liebe aufopferungsvoll kämpften.
In der damaligen DDR wurden Menschen zu Helden erklärt, die als Revolutionäre im Klassenkampf aktiv waren. Der Sieg einer Klasse, so wurde vermittelt, war nur mit Gewalt zu erzielen und die erreichten Ziele nur mit Gewalt zu verteidigen. Durch meinem persönliches Umfeld lernte ich aber auch andere Persönlichkeiten schätzen, die Gewaltfreiheit als Ziel vorlebten und die eine klassenlose Gesellschaft anstrebten.
In meiner jugendlichen Vorstellung lebte ich in dem Zwiespalt, welcher Held der attraktivere ist, der Kämpfer mit dem Schwert oder der Kämpfer mit dem Wort. Was ist Verteidigung und was ist Angriff, wo fängt Gewalt an und wo hört Gewaltlosigkeit auf? Sind die Helden meiner Schulbücher wirklich erfolgreiche Vorbilder? War der propagierte Sozialismus wirklich die erlösende Gesellschaft?
Mit zunehmenden Alter nahm man die politischen Geschehnisse war. Die DDR war für mich eine graue Masse. Einen gesellschaftlichen Sieg im Sinne einer positiven menschlichen Entwicklung konnte ich nicht erkennen. Später erst habe ich den Begriff ,, Die bleierne Zeit” gehört und verstanden. Ich war 6 Jahre alt, als Dr. Martin Luther King erschossen wurde. Er war ein Held der Gewaltlosigkeit. Durch die Bereichte aus meinem Umfeld hat sich dieses Ereignis festgesetzt. Es war ein Held der Gegenwart und nicht aus dem Geschichtsbuch! Er war erfolgreich, nicht durch einen schnellen Sieg, sondern durch Kontinuität.
Im selben Jahr rollten die Panzer des Warschauer Paktes in Prag ein und verhinderten mit Gewalt eine hoffnungsvolle gesellschaftliche Entwicklung. Als Kind habe ich den 21. August 1968 dort erlebt und sah die Tränen in den Augen der Erwachsenen.
Der gesellschaftliche Fortschritt wurde in der westlichen Welt ausgetragen. Hier fanden die eigentlichen Ereignisse statt. Friedensdemonstrationen, Umweltprobleme, globale soziale Fragen wurden in den Medien vorgeführt und eine Gesellschaft nahm daran Anteil, setzte sich damit auseinander. Mit den Aktivitäten der RAF starb meine kindliche Ansicht von Heldenmut endgültig. Es war auf der einen Seite noch eine Bewunderung, sich kämpferisch gegen das vermeintliche Böse einzusetzen, doch die Methoden waren abstoßend.
Mir war jetzt klar, gesellschaftliche Konflikte sind nicht mit Gewalt zu lösen. 1976 verbrannte sich der Pfarrer Brüsewitz auf dem Zeitzer Marktplatz. Er wollte selbst Opfer sein, um auf Probleme hinzuweisen. Auch hier war mir bald klar, dass auch dieser Weg nicht gangbar ist. Opfer- und Märtyrertum konnten auch keine Lösung sein.
1980 erhielt ich die Aufforderung, zur Musterung zu erscheinen. Heldentum und Vaterlandsliebe gab es bei mir nicht. Im politischen Großraum standen zwei Pakte gegenüber, die sich durch eine gewisse Form der Ausgewogenheit friedlich verhielten. Zu diesem Zeitpunkt empfand ich diese Ausgewogenheit als die einzig sinnvolle Lösung. Trotzdem war es ein Gefühl, als ob eine Lunte am Pulverfass zündelte.
Ich war 18 Jahre alt. Natürlich machte ich mir darüber Gedanken, aber ich erlebte in dieser Zeit auch eine persönliche Veränderung. Meine Lehrzeit ging zu Ende, ich war finanziell unabhängig, ich wollte leben! Partys, Motorrad und Mädchen, endlose Diskussionen in Freundeskreisen, Junge Gemeinde ua. bestimmten die Freizeit und dominierten den Alltag. Eigentlich wollte ich jetzt mit Konfliktentscheidungen nicht konfrontiert werden. Ich war nicht in der FDJ, wollte in der DDR nicht angepasst leben, Studienwünsche bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht, eine Bewerbung wäre auch nicht erfolgreich gewesen.
Ich ließ die Musterung über mich ergehen, es war mir egal. Ich wurde als Motschütze gemustert, ich glaube das Blödeste was es gab. Es vergingen zwei Jahre. Da wurde ich Einberufen, den Wehrdienst anzutreten. Plötzlich war eine andere Situation, jetzt musste ich mich entscheiden! Ich war reifer geworden. Meine Berufsziele hatten sich geformt, ebenso mein Weltbild. Ich entschied mich, den Wehrdienst mit der Waffe abzulehnen. Es war ein Mix von Beweggründen. Einerseits war es das Bewusstsein, ohne Waffen Frieden schaffen zu wollen, es war die Zeit der Aktion ,,Schwerter zu Pflugscharen”. Man demonstrierte im Westen gegen die Pershing-Waffen, im Osten wurden die SS20 Raketen stationiert. Es wuchs der Wille, zu dem nicht mehr verantwortbaren Rüstungswettlauf ,,Nein” zu sagen. Den Pazifismus als eine absolute Lebenshaltung anzusehen, konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Mir war schon bewusst, dass es unter Umständen nötig war, Frieden auch militärisch zu erzwingen. Doch die NVA sah ich in dieser Form nicht dafür geeignet. Ich hatte auch kein Einsehen, was es in der DDR hätte zu verteidigen gegeben. Der so genannte Westen war für mich kein Feindbild. Eine Bedrohung durch eine Gegnerschaft hatte ich nicht empfunden, eher die Bedrohung durch die politische Situation an sich und durch die gigantischen Rüstungspotenziale.
Ich weiß nicht mehr, ob ich eine schriftliche Erklärung abgeben musste. Ich teilte der Musterungskommission meine Entscheidung mit. Nach einer Wartezeit musste ich vor einer Kommission meine Erklärung darlegen. Ich habe nicht alle meine Gedanken gesagt. Ich wusste, dass ich mit einer christlich -pazifistisch motivierten Erklärung und der Berufung auf das Bausoldatengesetz größeren Erfolg auf Anerkennung hatte. Eine rein politisch motivierte Aussage wäre wahrscheinlich ohne Erfolg gewesen. Ich weiß die Details des Gespräches kaum noch. Was mir in Erinnerung geblieben war, ist die Fragestellung zur Form der Verteidigung. Ob ich mit ansehen könnte, wie anderen Menschen Gewalt angetan wird bzw. ob ich zuschauen könnte, wie meine Freundin, Frau, Mutter oder Schwester vergewaltigt werden ohne dabei einzugreifen. Klar, diese Frage bringt Konflikte auf. Aber irgendwie erklärte ich meine Einstellung dazu.
Ich denke, dass ich es relativ leicht hatte, meine Entscheidung durchzusetzen. Das christlich motivierte Elternhaus, mein Vater als Pfarrer - es wurde wahrscheinlich erwartet, dass ich diesen Weg gehen wollte.
Ich musste wieder vor die Kommission treten und mir wurde bekannt gegeben, dass ich nun als Bausoldat anerkannt bin und zu einem späteren Zeitpunkt eingezogen werde.
Der gesamte Vorgang hatte nicht sehr lange gedauert, ich glaube, es waren zwei bis drei Stunden. Dann vergingen 6Jahre, ich heiratete, mir wurden zwei Kinder geboren. Berufliche Veränderungen vollzogen sich, aber eine weiterführende Ausbildung oder ein Studium waren in dieser Zeit nicht möglich.
Ich wurde am 3. Mai 1988, in meinem 27. Lebensjahr, zum Bausoldatendienst eingezogen.

2. Einberufung
Der Einberufungsbefehl beorderte mich nach Doberlug-Kirchhain, einer kleinen Doppelstadt zwischen Leipzig und Cottbus. Die Kaserne war auswärts gelegen, in einem ehemaligen Tagebauareal. Schwerpunkt der dortigen Niederlassung war eine Pioniereinheit, deren Aufgabe allein darin bestand, in einem Konfliktfall über einen Fluss eine stabile Brücke zu bauen und sich dann in einer Mottschützeneinheit als Kanonfutter zu integrieren.
Das Kasernengelände war relativ neuzeitlich, vermutlich erst in den 70iger Jahren erstellt. Die Unterkünfte waren mehrstöckige Betonblöcke, die schon erheblich verschlissen waren. Während unseres Aufenthaltes war die Kaserne kaum belegt.
Im weiten Arial hinter den Kasernebauten befanden sich die Tagebaulöcher der ehemaligen Braunkohleförderung. Als wir dort waren, war das Gelände wieder eine grüne Landschaft. Heideland, junger Birkenwald und Kieferschonungen bestimmten die Vegetation. Betonstraßen führten zu Übungsplätzen, an denen verschiedene Brückentypen aufgebaut waren. Während unserer Zeit mussten meist Reservisteneinheiten sich am Bau dieser Brücken üben.

Am 27. April musste ich meinen Personalausweis abgeben, von nun an galt der Wehrdienstausweis als alleinige Legitimation. Ich war schon am Tage zuvor zum Friseur gegangen. Meine längere Haarpracht wollte ich nicht einem Armeefriseur opfern, auch mein Bart ging im Vorfeld verloren. Durch meine dürftigen Rasierkenntnisse, hatte ich mich mächtig geschnitten. Die Narbe ist heute noch erkennbar.
Dann kam der traurige Abschied. Meine jüngste Tochter war 7 Monate alt, ich wusste, sie wird sprechen und laufen lernen, ohne meine Anteilnahme. Dies rührte mich am meisten. Mit feuchten Augen verließ ich das Haus in Richtung Bahnhof.
Auf der Bahnfahrt sah man schon, wer welche Reise hatte. Der Termin war zentral in der gesamten DDR. Ab Leipzig war Militärstreife unterwegs, die dafür sorgten, dass keine Randale oder Alkoholexzesse stattfanden. Als ich in Doberlug -Kirchheim ankam wurden wir von Militärs empfangen.
Es wurde nicht unterschieden zwischen Bausoldat und ,,richtigem Soldat”. Es ging mit LKW´s ab in die Kaserne, das übliche Gebrüll, Antreten, Zuordnung, Kleiderkammer ect. Der Ablauf war wie in allen anderen Kasernen. Wir als Bausoldaten wurden wie alle üblichen Einberufenen behandelt.
Es war kaum Zeit zum Kennenlernen, erst am späten Abend kam Ruhe auf. Die ersten Kontakte wurden geknüpft. Wir waren alle älter als die üblichen Rekruten. Die meisten waren zwischen 25 und 27 Jahre alt, einige wenige auch jünger .
Viele hatten schon Familie, andere waren schon in beruflicher Verantwortung. Es gab eine größere Gruppe von Selbstständigen unter uns, die meist schon den väterlichen Betrieb führten.
Über die einzelnen Motivationen der Bausoldatenentscheidung gab es verschiedene Ansätze. Es stellte sich heraus, dass wir ein Mix unterschiedlichster Befindlichkeiten waren. Die reine religiöse, pazifistische Einstellung gab es am seltensten. Meist waren diese Leute aus religiösen Gruppierungen wie Freikirchen uä.. Die Mehrheit hatte politische Befindlichkeiten oder, wie bei mir, eine Verbindung verschiedener Beweggründe. Unter uns gab es Leute, die ganz offensichtlich ihre Oppositionshaltung dem Staat gegenüber zum Ausdruck brachten. Einige hatten Ausreiseanträge laufen.
Der Intellekt der Einzelnen war ebenfalls sehr unterschiedlich. Wir hatten alles, von ganz einfachen Menschen bis zu intellektuell gebildeten Persönlichkeiten. Das machte das Gruppenleben nicht unbedingt einfacher. Durch die späteren Trennungen während der Dienstzeit entspannten sich manche Verhältnisse.
Das Einzugsgebiet, aus dem unsere Truppe gezogen wurde, lag in den heutigen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wobei der sächsische Raum besonders betont werden muss. Am stärksten war die Region des Erzgebirges vertreten, was zu besonderen Gruppenbildungen führte.

2.1 Grundausbildung
Viel Zeit zum Einleben gab es nicht. Der erste Tag dauerte lange, der nächste Morgen begann zeitig mit Trillerpfeife und gebrüllten Kommandos. Man war angekommen.
Die Unterbringung war in einem öden Betonblock, ich glaube im zweiten Obergeschoß. Vor dem Gebäude der geräumige Exerzierplatz.
Wir waren eine Kompanie mit 90 Soldaten, gegliedert in drei Züge. Noch waren wir eine geschlossene Einheit, später wurden wir getrennt eingesetzt. Wie alle Soldaten mussten auch die ,,Spatentruppen” eine Grundausbildung absolvieren. Ich weiß nicht mehr genau, es waren wohl vier Wochen. Wir ,,erlernten” den Kasernenalltag, Exerzieren, ,,Männchen machen”, es gab auch Sturmbahn, Gasübungen u.ä. Aber wir hatten keine Waffen im Gebrauch! Es gab Politschulungen, sportliche Übungen und regelmäßigen Morgensport. In den Abendstunden war Stuben- und Revierreinigen angesagt.
Darüber hinaus hatten wir auch fachlichen Unterricht. Wir wurden durch einen Offizier mit Bauingenieurausbildung im Baugewerk geschult.
Meine direkte Erinnerung an diese Zeit ist stark verblasst. Es lief alles sehr schematisch ab, es war eine monotone Phase. Viel Zeit für tiefere Gespräche gab es nicht. Jeder war anfänglich mit sich selbst beschäftigt. Bei dem einen und andern tauchten physisch und psychisch Probleme auf. Für einige war Sport in den letzten Lebensjahren ein Fremdwort gewesen und sie taten sich mit den neuen Aktivitäten schwer. Andere litten unter der Trennung von der Familie und den veränderten Lebensumständen. Mit dem Aufkommen von Problemen bildeten sich Beziehungen heraus, die das gegenseitige Kennenlernen erleichterten.
Nach dem Annehmen der Situation, war mein größtes Problem das Exerzieren und das sich Einordnen müssen in einen ungewollten Ablauf. Vorschriftsmäßiges Grüßen, Befehle empfangen, Ansprechen eines Vorgesetzten, der Umgangston, ua. erzeugten in mir Wut aber auch Lächerlichkeit. Ich habe versucht über den Verstand die Dinge zu verstehen, aber mein inneres Wesen sträubte sich gegen all diese Gegebenheiten.
Besuch, Ausgang oder Heimfahrten gab es in den ersten Wochen nicht.
Ich weiß auch gar nicht mehr, ob es eine Art Gelöbnis gab wie es andere Soldaten tun mussten. Es gab aber einen so genannten feierlichen Akt nach Abschluss der Grundausbildung, angelehnt an das Ritual der Vereidigung der bewaffneten Einheiten.
An diesem Tag bestand erstmals die Möglichkeit, Besuch zu empfangen. Es war aber nur in einem nüchternen Besucherraum möglich.
Einige Tage später gab es die Möglichkeit, Ausgang zu nehmen, der meistens zu einer Gastwirtschaft führte. Da der Weg in den Ort sehr weit war, war die Wirtschaft auf halben Weg ein idealer Anlaufpunkt. Private KFZ waren bei Strafe verboten, organisierte Transporte gab es nur bei Urlaubsfahrten, da der Bahnhof von der Kaserne mehrere Kilometer entfernt lag.
Daher gab es wenig Kontakte zwischen den Bewohnern der Stadt Doberlug-Kirchhain und den dort stationierten Soldaten. Auch auf kirchlicher Ebene fanden kaum Begegnungen statt. Es gab Versuche, Gottesdienstbesuche zu organisieren, dies scheiterte aber auch an der Wegstrecke. Außerdem zählte jeder Wochenendausgänger, wenn es auch nur Sonntagnachmittag war, mit in die Urlaubsstatistik. Es mussten immer mindestens zwei Drittel der Gruppenstärke in der Kaserne verweilen. Das andere Drittel durfte auf Ausgang oder Urlaub sein. Da man aber von einem Kurzurlaub mehr hatte, haben wir uns innerhalb der Gruppe verständigt, an den Wochenenden keinen Ausgang zu nehmen, so dass immer die volle Gruppenstärke in den Urlaub fahren konnte.
Insgesamt waren für die 18 Monate Dienstzeit 18 Tage Urlaub vorgesehen, wobei Sonnabende mit als Urlaubstage zählten. Den ersten Kurzurlaub den ich antreten durfte, ich glaube es war Sonnabendmittag bis Montag 6 Uhr morgens, war Ende August. Also 4 Monate nach meinem Einzug.

2.2 Arbeitseinsatz Kasernengelände
Nach der Grundausbildung wurden unsere drei Züge unterschiedlich eingesetzt. Der erste Zug wurde nach Prettin an die Elbe abkommandiert und musste dort einen Wasserübungsplatz errichten. Was dort im Einzelnen ablief, kann ich nicht weiter schildern, da ich dort nie gewesen bin. Mit diesen Kollegen hatten wir während unserer weiteren Dienstzeit kaum zu tun.
Die andern beiden Züge blieben in der Kaserne. Die ersten Monate, das heißt von Mai bis Anfang September waren wir auf dem Kasernegelände beschäftigt.

Wir erlebten den Kasernenalltag. 6 Uhr Wecken, Frühsport, Waschen, Arbeiten oder Ausbildung, 12 Uhr Mittag, ab 13 Uhr wieder Arbeiten oder Ausbildung, ab 16 oder 17 Uhr Stuben- und Revierreinigen, 18 Uhr Abendessen. Sonnabendvormittags war Sport oder Exerzierübungen, Schulungen und großes Stuben- und Revierreinigen angesagt. Nach dem Mittag war Freizeit, der Sonntag war insgesamt frei.

Ich wurde einer Gruppe zugeteilt, die die Aufgabe hatte, ein ehemaliges Wachgebäude umzubauen. Als die Kaserne noch stärker besetzt war, befand sich dort u.a. der Arrest. Dieser wurde nun nicht mehr gebraucht. Das Gebäude war zu entkernen, die Zellenfenster wurden herausgebrochen und durch große Fenster ersetzt. Danach wurden neue Zwischenwände errichtet. Alles geschah mit einfachem Handwerkszeug, Technik im heutigem Sinne gab es nicht. Somit dauerte die Arbeit auch recht lange. Wir waren weitgehenst auf uns selbst gestellt. Der ,,Herr Bauingenieuroffizier” kam gelegentlich vorbei und gab seine Anweisungen.
Mit Dienstgraden habe ich schon damals Schwierigkeiten gehabt, so dass ich heute nicht mehr sagen kann in welchem Dienstrang dieser Offizier stand. Materialtransporte, Entsorgungen, Fahrdienste ua. wurden durch Reservisten gestellt. Mit ihnen hatten wir ganz guten Kontakt, der zum Teil aus langen Gesprächen bestand.

Die andere Truppe von uns musste unser eigenes Quartier ausbauen. Innerhalb der Kaserne gab es ein Gebäude, wo wir als Bausoldaten untergebracht werden sollten. Es war Absicht, uns von den anderen Soldaten und Reservisteneinheiten räumlich zu trennen.
Das Quartier war deutlich besser als der Kasernenblock. Sanitärbereiche wurden neu gefliest, lange Korridore wo ganze Kompanien stramm stehen mussten gab es hier nicht. Das Gebäude befand sich am Waldrand, mit Blick in die Landschaft. Nur die Wege waren weit. Der übliche Marsch zum Essen war fast eine kleine Wanderung. Die Malzeiten wurden alle in einem Extraraum innerhalb des Küchenkomplexes eingenommen. Auch hier wurde deutlich darauf geachtet, dass Bausoldaten mit den anderen Kaserneninsassen kaum Kontakt bekamen.

Irgendwann im August wurde das sanierte Gebäude bezugsfertig, so dass unsere Einheit dort einziehen konnte. Es gab eine gestaltete Freifläche, ein Fernsehzimmer und einen Schulungsraum. Natürlich auch die üblichen Dienstzimmer der Offiziere, das Büro des ,,Spieß” und seines Schreibers. In der Zeit, wo es viele Kommandierungen nach Außwärts gab, lief es in diesem Gebäude recht gemächlich ab. Bei voller Belegung war es aber recht eng und es wurde von seitens der Vorgesetzten besonders Stress gemacht.

2.3 Arbeitseinsatz Oberberg
Anfang September bis Ende Oktober 1988 wurde mein Zug (30 Personen) nach Oderberg abkommandiert. Dort bestand die Aufgabe, einen Parkplatz aus nicht verwertbaren Eisenbahnschwellen zu bauen. Es muss eine größere Menge von Betonschwellen produziert worden sein, die nicht für die Schienen eingesetzt werden konnten. Es gab Produktionsfehler, die den Einsatz nicht zuließen. Somit waren diese Schwellen massenhaft vorhanden.

Etwas nördlich des beschaulichen Ortes Oderberg befand sich ein Sperrgebiet. Dort sollen während des II. Weltkrieges chemische Kampfstoffe produziert worden sein.
Ein Teil der Fläche wurde noch in DDR-Zeiten militärisch genutzt. Welche konkrete Nutzung, kann ich nicht sagen.
Es wurde uns strikt untersagt, sich auf dem Gelände frei zu bewegen. Trotzdem war die Neugier da, sich dort umzusehen. An einen sonnigen Herbstsonntag bin ich in das Gelände vorgedrungen. Man konnte sich vorstellen, wie dort während des Krieges produziert wurde. Die Gebäude waren weitgehenst restlos beseitigt. Ich lief auf überwachsenen Bahndämmen und zugewachsenen Straßen. Die Gleise waren zurückgebaut, aber der Damm als solches war da. Es gab große künstliche Hügel, die sicher Bunker waren. Hier und da endete ein Damm vor solch einem Hügel. Teilweise waren Betonplatten erkennbar, es gab Spuren, die ich als Sprengung deuten würde. Irgendwie war es unheimlich, eine Landschaft von Menschen geschaffen, dann von ihnen selbst zerstört und nun von der Natur zurückerobert.

Untergebracht waren wir in Zelten. Die Nächte wurden zunehmend kühler, mit Holz wurde für Wärme gesorgt. Gewaschen wurde draußen, morgendlich war es dann schon recht ungemütlich.
In einem speziellen Zelt wurde gegessen, die Mahlzeiten angeliefert.
Die eigentliche Arbeit war eine Plackerei. Wie Steinzeitmenschen mussten wir die Betonschwellen mit Zangen greifen und diese umgekehrt, mit der Rückseite nach oben, dicht an dicht verlegen. Anschließend wurden sie mit Sand eingeschlemmt. So nach und nach entstand eine große in sich geschlossene Betonfläche.
Bei dieser Arbeit kam es zu Problemen. Es war wichtig, mit der richtigen Technik und mit gemeinsamen Einsatz die Schwellen anzupacken. Einige bekamen bald Rückenschmerzen. Es gab Beschwerden, die Moral sank. Für uns war dies Arbeit völlig sinnlos. Es gab keinen erkennbaren Grund, warum dieser Parkplatz gebraucht wurde. Auch die Mühe mit den Schwellen war ein völlig überflüssiges Agieren. Vermutlich war aber die Not in der damaligen DDR der eigentliche Sinn. Die Fehlproduktion dieser Betonschwellen musste verwertet werden, andere Materialien standen nicht zur Verfügung. Positiv denke ich an ein paar Ausflüge in den Ort Oderberg, zum Kloster Chorin und an einige spätsommerliche gesellige Abende zurück. Urlaub gab es während dieser Zeit nicht.

2.4 Arbeitseinsatz Forst Weißwasser
November und Dezember waren wieder mit Arbeiten in der Kaserne gefüllt. Weihnachten war ich zu Hause. Den Jahreswechsel 1988/89 verlebte ich im Kasernenambiente. Irgendwie war auch etwas Alkohol da. Aber ich muss grundsätzlich sagen, dass es mit Alkohol kaum Probleme gab. Wir wussten damit umzugehen.
Trotzdem machten sich nach nun 8 Monaten Dienstzeit und nur sehr wenig Urlaub, einige Probleme breit. Psychologisch, wie auch familiär kamen Spannungen auf, die sich besonders in der Zeit um Weihnachten und des Jahreswechsels auftaten.

Gleich am ersten Januarwerktag war Packen und Abreise angesagt. Mit dem Tatra-LKW ging es nach Weißwasser. In einer Baracke eines Arbeiterwohnheimes waren wir untergebracht und fuhren von dort aus täglich in den Wald.
Es gab dort größere Liegenschaften, die als Übungsgelände genutzt wurden. Die geologische Struktur machte die Gegend für Waldbrände sensibel. So war auch das Gebiet, in dem wir eingesetzt waren, eine ehemalige Waldbrandregion. Das Feuer fegte durch das trocken Unterholz und verursachte durch die Hitze Schäden an den meist auf Kiefern bestehenden Forstbeständen. Nach ein/zwei Jahren löst sich die Rinde und der Baum fängt langsam an zu sterben. Dieser Zustand ist eine Brutstätte für Forstschädlinge, die sich schnell zwischen der ablösenden Rinde und dem eigentlichen Holz ansiedeln. Wir wurden in Gruppen zu ca. 5 Leuten gegliedert und mussten uns in bestimmten Abschnitten durch den Forst arbeiten. Ein Kollege hatte eine Kettensäge, die anderen vier jeweils eine Axt. Wenn der Baum umgelegt war, wurden die Zweige entfernt, der Stamm anschließend aufgepoltert. Auch hier stand kaum Technik zur Verfügung. Nach dem wir im Vorlauf dort schon reichlich Flächen geschlagen hatten, kamen Traktoren und zogen die Polter auf die Hautwege, um sie dann abfahren zu lassen.
Wegen den Gefahren bei der Arbeit, wurden wir regelmäßig geschult. Der Einsatz der Kettensäge, das Umlegen der Bäume aber auch die Nähe zu den anderen Arbeitsgruppen erforderte eine gewissenhafte Umsicht. Bis auf ganz geringe Kleinigkeiten ist kein menschlicher Schaden eingetreten.
Die Arbeit zog sich von Januar bis April hin. Wir waren täglich von 7 bis 16 Uhr im Einsatz. Das tägliche Arbeiten unter freien Himmel war auch eine neue Erfahrung. Es gab kaum krankeitsbedingte Ausfälle. Wir lebten uns im Wald ein.
Die Tatsache, weit ab von einer Kaserne zu sein, ließ eine andere Situation aufkommen. Der begleitende Leutnant verlor seine scharfe Stimme, der Unteroffizier wurde ,,Mädchen für alles”. Wir bewegten uns wie Forstarbeiter, die militärischen Vorgesetzten kümmerten sich um Essen, Aufenthaltszelt, Abort usw. Ein Reservist war Fahrer des LKW.
Nach 4 Monaten war eine beachtliche Fläche kahl geschlagen. Es wurde noch der Monat Mai angehängt.
Dafür mussten wir aber umziehen. Die Baracke in Weißwasser wurde wieder durch Arbeiter belegt, wir mussten in ein Militärcamp mitten in den Wald ziehen. Es war Jahre nicht genutzt. Das Camp befand sich an einer riesigen Übungsfläche. Vermutlich waren dort Panzerschlachten geübt worden. Die Vegetation war weitgehend beseitigt. Der Sandboden lag frei, ganz langsam kam die Natur zurück und bedeckte die Ödnis mit Humus und somit auch wieder mit einer sich bildenden Vegetation.
Das Camp waren Bretterbuden, deren Ritzen wir erst verschließen mussten. Innen war alles sandig. Durch Winde wurde ständig feiner Sand in die Räume geblasen. Ein umgebender Stacheldrahtzaun war eingefallen. Zu Fuß hätte man sicher Stunden laufen müssen um in eine nächste Ortschaft zu kommen. Hoyerswerda war der nächstliegende größere Ort. Den haben wir aber kaum gesehen.
,,Militärische Reinlichkeit” war kaum auszuüben. Irgendwie erinnerte mich die Situation an einen Westernfilm. Wir lebten nur in unseren Arbeitssachen, schwarze Overals. Aller zwei bzw. drei Tage wurden wir mit dem LKW zum Duschen in eine Kaserne nach Hoyerswerda gefahren. Aber schon auf der Rückfahrt war man wieder eingestaubt. Wir fingen an, etwas zu verwahrlosen.
Es stellte sich eine Art Selbstlauf ein. Wir arbeiteten gegen die Langeweile. Die reichlich freie Zeit wurde mit Lesen und Briefe schreiben verbracht. Fernseher gab es nicht. Ich glaube, wir durften offiziell pro Kopf zwei Flaschen Bier pro Abend kaufen. Diese wurden mit dem Essen geliefert. Ausgang im üblichen Sinn war ja nicht möglich.

Ende Mai, Anfang Juni ging es wider zurück in die Kaserne. Es war eine schreckliche Umstellung. Die Vorgesetzten wurden wieder exakter, das verlernte Exerzieren wurde wieder geübt usw.
Lange dauerte die Phase aber nicht an.

2.5 Arbeitseinsatz Johanngeorgenstadt
Im Juni 1989 wurde ich mit einer Gruppe von ca. 12 Bausoldaten nach Johanngeorgenstadt abkommandiert. Dort wurde eine ehemalige Kaserne der sowjetischen Streitkräfte in ein Ferienheim der NVA umgebaut. Das Hauptgebäude war die damalige Kommandantur, die von dort aus den Uran- und Wismutbergbau kontrollierte. Es war ein in der Stalinzeit errichteter Bau, der wie ein Schloß auf den Bergrücken thronte.
Unser Quartier waren schon fertig gestellte zukünftige Gästezimmer, für militärische Verhältnisse lebten wir nun im Luxus. Einige Wochen vorher erlebten wir noch Wildwestmilieu.
Wir wurden Baufirmen zugeordnet und lebten nach deren Rhythmus. In dieser Zeit lebten wir fast ein ziviles Leben. Es gab keinen geschlossenen Bereich, so dass wir täglich ausgehen konnten. Wenige Meter von uns entfernt lag das Klubhaus und eine Freibadanlage. Wir waren dort ständige Nutzer dieser Einrichtungen. Als Vorgesetzten hatten wir einen Reservisten, dem die eigenen Ruhe wichtiger war als militärische Ordnung. Wir hatten uns Zivilsachen mitgebracht, wer ein Auto hatte brachte auch dieses mit. Ich hatte sogar mal meine Frau und meine Tochter zu Besuch, die in einem Privatquartier wohnten wo ich sie besuchen konnte.
Da wir die Arbeit zur Zufriedenheit erledigten, die Arbeitsdisziplin keine Beschwerden brachte, wurden wir so akzeptiert.
Wir arbeiteten jeden zweiten Sonnabend, so dass jedes zweite Wochenende dazwischen ein Heimfahrwochenende war.
Wir arbeiteten im Außenbereich, Straßen-, Wege- und Zaunbau. Als gelernter Tischer musste ich auch Möbel montieren und im Innenbereich am letzten Schliff mitwirken.
Ob das Ferienheim aber je eingeweiht wurde, bezweifle ich. Der neue Küchentrakt befand sich noch in einer Rohbauphase.
Bis August waren wir dort im Einsatz. Eine Fertigstellung war sicher erst im Herbst zu erwarten gewesen, doch da löste sich die DDR schon auf. In diesen Sommermonaten spürten wir schon einen Hauch von Veränderungen. Einerseits lebten wir ein Stück relative Freizügigkeit, in jeder Beziehung, aber anderseits redeten wir auch über Ängste. Die Meldungen aus Peking machten die Runde und man fragte sich, wie solch eine Situation in der DDR enden würde. Wir sahen Hänge mit abgestorbenen Waldflächen, erlebten dort eine Uranverseuchte Landschaft, hörten die Bedenken der Bauarbeiter. Es gab genügend ungelöste Probleme und wir hatten eine Gesellschaft, die unfähig war, Problemlösungen anzugehen.
Mitten in solche Überlegungen kam der Befehl, Brikett zu stapeln. In einer kommunalen Einrichtung wurden wir angefordert, einige Tonnen Brikett platzsparend zu stapeln. Jahrelang lagen die Braunkohlebriketts unter freien Himmel und verwitterten rasch. Nun hörte man von Bausoldaten im Ort und man machte den Deal, uns dorthin zu schicken. Da die Briketts aber zum Teil kaputt bzw. so instabil waren, hatte das Stapeln kaum Sinn. Als wir vielleicht zwei Drittel gestapelt hatten, eine mehrtägige Aktion, stürze unser Wunderwerk ein. Nun durften wir wider an die eigentliche Baustelle zurück. Für die dort Verantwortlichen war das ein typisches Beispiel staatlicher Inkompetenz, völliger Unfähigkeit.
Wir hörten von Ungarn und den sich dort öffnenden Grenzen. Wir sprachen schon belustigend, den Sommer 1990 am Mittelmeer oder am Rhein zu verleben. Doch lagen wir damit soviel daneben? Die Träume waren ein Stück Wille und die Folgemonate machten diese Träume wahr.
In den drei Sommermonaten hatten wir uns mit den Leuten vor Ort gut verstanden.
Ende August/Anfang September war der Abzug und irgendwie war es ein etwas wehmütiger Abschied. Wir lebten wie Montagearbeiter und nun ging es wieder zurück in eine Kaserne mit all ihrem Unannehmlichkeiten.

2.6 Arbeitseinsatz Forst Klytz
Merkwürdiger Weise war der Ton in der Kaserne völlig anders als wir es vorher gewöhnt waren. Politunterricht (,,Rotlichtbestrahlung”) gab es nicht mehr. Was sollte man Diskutieren, dass 10.000 DDR-Bürger das Land über Ungarn verlassen? Über die Gründung des ,,Neuen Forums” in Berlin?
Wir hörten heimlich ,,Westradio” und verschafften uns Informationen.
Doch lange blieben wir nicht in der Kaserne, die letzen Wochen wurden wir nach Klytz an die Elbe beordert. Auch hier war ein Militärforst zu bewirtschaften, kein Waldbrand, sondern eine normale Ausästelung und Bereinigung von Jungforsten.
Jetzt wurde nicht mehr ohne Radio gearbeitet. Es gab eine guten RIAS-Empfang und einer war immer am Lauschen und informierte die anderen. Demonstrationen in der DDR! Was mach dabei das Militär? Wie geht man mit Bausoldaten um? Das Hauptthema war der gesellschaftliche Umbruch, zu diesem Zeitpunkt aber noch völlig offen, in welche Richtung es gehen wird.
Wir lebten einerseits von der Freude, dass es Schritte zur Mündigkeit gab, sahen anderseits die Blockadehaltung der Regierenden. In unseren Diskussionen wurde deutlich, dass eine Reform mit der damaligen DDR-Regierung nicht möglich war. Ein Abdanken wäre der einzig sinnvolle Weg. Aber was bedeutet das, geht dies friedlich ab? Die Bilder von Peking waren noch frisch, Gegenmaßnahmen der DDR-Regierung wurden angekündigt, Gerüchte von Isolierungslagern für so genannte ,,Konterrevolutionäre” machen die Runde.
Ende September freuten wir uns einerseits über die Ausreise der DDR-Bürger in den Botschaften in Prag und Warschau, anderseits hörten wir von Verhaftungen und Verurteilungen von Demonstranten im DDR-Gebiet. ,,Was machen wir, wenn wir hier rauskommen?”, das war die meist diskutierte Frage. Ausreise oder Bleiben?
Am Freitag den 6.Oktober war eigentlich Urlaub angemeldet. Wir alle sollte an diesem Wochenende nach Hause fahren. Es kam aber anders. Der Kompaniechef kam extra zu uns nach Klytz und berichtete, dass alle Außentruppen der NVA in die Kasernen zurückbeordert werden und Bereitschaft haben. Alle Urlaube sind gestrichen. Wenige Stunden vorher hörten wir über RIAS, dass die Grenzen nach Polen, der CSSR dicht gemacht wurden und das aus Westberlin kaum Einreisen möglich sind.
So packten wir unsere Sachen und fuhren noch in der Nacht zurück in die Kaserne. Diese Fahrt habe ich noch sehr lebendig in Erinnerung. Wir saßen alle schweigend auf dem Tatra und fuhren durch die Nacht, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

In Doberlug-Kirchhein angekommen hörten wir wunderliche Dinge. Ein Kollege musste kurz vorher zur Entbindung seine Frau nach Hause fahren. Ihm wurde erlaubt in Zivil zu reisen, was bisher undenkbar war.
Das Wochenende um den 7.Oktober war für uns sehr spannungsreich. Wir wurden völlig in Ruhe gelassen. Einerseits sahen wir im DDR - Fernsehen die Huldigungen zur 40. Jahrfeier der DDR, anderseits hörten wir über andere Kanäle, was draußen wirklich los war. Noch war offen wie sich die DDR entwickeln würde.
Unsere Vorgesetzten waren völlig unsicher, die letzten Tage war es mehr ein Gammeln als Arbeiten.
Ich weiß gar nicht mehr, was wir eigentlich taten. Es war alles überladen mit den Geschehnissen draußen im Land.
Der Fernsehraum war jetzt täglich voll. Früher tat sich kaum jemand die Nachrichten der ,,Aktuellen Kamera” an. Doch nun wurde erst gesehen und dann Diskutiert. Von Vorgesetzen war keine Spur zu sehen.
Der Machtwechsel von Erich Honecker an Egon Krenz wurde als Zeichen künftiger Veränderungen wahrgenommen, aber wir hatten die Bedenken, dass nun jemand mit ,,frischem Wind” gegen die sich formierenden Reformen zu Felde zieht. In Egon Krenz sahen wir keinen Hoffnungsträger.

3. Entlassung
Am 26. Oktober 1989 wurde wir entlassen. Eigentlich ein wunderbarer Tag! Alle waren glücklich und ich hatte seit den Vortag Zahnschmerzen! Es gab keine Möglichkeit mehr einen Zahnarzt aufzusuchen. Ich hatte noch nie in meinem Leben Zahnschmerzen, aber genau an diesem Tag dann doch! Alle freuten sich, lachten, scherzten nur ich ging auf und ab und kämpfte gegen den Schmerz!
Per Paket sollten die Zivilkleidung zugeschickt werden, die wir dann am Nachmittag vor der Entlassung ausgehändigt bekamen.
Der letzte Morgenappell. Ansprache des Kompaniechefs. Seine Rede war unsicher, er dankte für unsere Disziplin der letzten 18 Monate, er wünschte uns viel Erfolg im weiteren Zivilleben. An politische Worte kann ich mich nicht Erinnern. Was sollte auch gesagt werden? Aus Sicht der Militärs war es eine Zeit absoluter Unsicherheit. Irgendwelche persönlichen Bekenntnisse hätten Nachteile erwirken können, wohin auch immer die Entwicklung noch gehen konnte.
Nach dem Morgenappell zogen wir im Sturmschritt vor das Kasernentor. Dort erwarteten uns die Angehörigen in PKW´s. Meiner Erinnerung nach, wurden alle irgendwie über Fahrgemeinschaften nach Hause gebracht. Ich fuhr mit dem Vater eines Zimmerkollegen zurück nach Dessau.
Mein erster Weg war aber nicht nach Hause, sondern zum Zahnarzt. Ein Weißheitszahn hatte sich so unglücklich Entwickelt, dass er entfernt werden musste. So kam ich doch erst zum fortgeschrittenen Nachmittag zu Hause an, konnte nichts Essen, keinen Kaffee und keinen Alkohol trinken, aber trotzdem war ich glücklich!
Ich fühlte mich doppelt entlassen, einerseits aus den Diensten der Armee und anderseits in ein verändertes Land, in eine neue Freiheit. Am nächsten Tag nahm ich zum ersten mal an einer Demonstration für eine freiheitlichere DDR teil.
Ich war glücklich!
Wenige Tage später fuhr ich mit meiner Frau in den Harz. Wir hatten uns das schon vor länger Zeit vorgenommen. Dort erlebten wir den 9. November, der Tag als die Mauer fiel ! Wir waren am Tage wandern, am Abend sahen wir die Bilder im Fernsehen. Ich war gerührt, Tränen kamen in die Augen! Was für ein Umbruch! Für mich war hiermit die DDR-Zeit zu Ende. Sie hatte ausgedient!
Wie haben wohl die zurückgeblieben Militärs diese Nachrichten aufgenommen? Ich habe nie wieder von ihnen gehört oder jeweils einen getroffen.

11 Monate danach gab es keine NVA mehr. Am 3. Oktober wurden in allen Kasernen die DDR-Fahnen eingeholt und die bundesdeutschen Fahnen gehisst. Statt der NVA-Uniform trug man nun die Uniform des vermeintlichen Klassenfeindes. Wie sah es wohl in den Köpfen der Bediensteten aus?
Der ,,kalte Krieg” ging zu Ende, ohne das eine militärische Aktion gebraucht wurde. Massen an Waffen und Personal waren plötzlich für den angedachten Zweck überflüssig.

4. Fazit
Ich erlebte den letzten vollen Durchgang einer 18 monateigen Grundwehrdienstzeit. Alle nach uns eingezogenen Soldaten hatten ihren Wehrdienst schon verkürzt beenden dürfen.
Ich lebte vorher in einem Land, welches in einer schweren gesellschaftlichen Kiese steckte. Ich wurde entlassen in ein Land voller Euphorie und Aufbruchstimmung. Während meiner Bausoldatendienstzeit vollzog sich ein gravierender Wandel.
Der Prozentsatz der Bausoldaten lag bei 0,4 bis 0,7% der gesamten Wehrdienstleistenden. Also eine verschwindend kleine Zahl. Jeder Einzelne traf die Entscheidung bewusst. Eine Auseinandersetzung war zuvor erforderlich.
Der gesellschaftliche Veränderungsprozess wurde von der gesamten Einheit begrüßt und mitgetragen. Die Mehrheit meiner Mitdienenden war aus politischen Gründen zur Bausoldateneinheit gekommen und sahen in der gesellschaftlichen Veränderung eine Bestätigung ihrer Ansichten. Besonders diese Gruppe war sehr diskussionsoffen. Einige bedauerten, nicht an den Ereignissen im September und Oktober 1989 teilhaben zu können.
Unsere Vorgesetzten (ein Oberstleutnant- Kompaniechef, ein Major - Politoffizier, drei Leutnants-Zugführer, verschieden wechselnde Feldwebel und Unteroffiziere) waren vermutlich gezielt ausgewählt. Sie waren gebildet und verstanden es Konfrontationen zu vermeiden. Man ging, den militärischen Zwecken angepasst, respektvoll miteinander um. Anfänglich wurde noch durch Politschulungen versucht ideologisch aktiv zu sein, später wurde davon Abstand genommen. Man war bestrebt, möglichst problemlos die Dienste abzuwickeln.
Auch auf den Außenkommandierungen war zwischen den militärischen Vorgesetzten und uns eine sachliche Distanz. Man respektierte sich und wusste wo Grenzen waren.
Personen, zu denen wir während der Arbeiten Kontakt hatten, stellten unsere Arbeitsleistung als vorbildlich dar.
Wir verstanden uns, gute Arbeit zu liefern und dafür im Rahmen der Möglichkeiten entsprechend freizügig im Alltag zu agieren.
Heute habe ich mit niemanden aus meiner damaligen Truppe mehr Kontakt. Wir alle stürzten nach der Entlassung in den Wandel der Zeit. Beruflich und Privat kam es zu Veränderungen, so sind die Kontakte schon in den ersten Monaten abgebrochen.

Als wirklichen Wehrersatzdienst konnte ich den Bausoldatendienst nicht verstehen. Es war ein Kompromiss, eine Alternative zur Totalverweigerung mit Gefängnisstrafe.
Unsere Arbeit diente nur der NVA. Trotzdem versuchte ich die Dinge zweiseitig zu deuten. Ein intakter Armeeforst ist auch ökologisch gesehen gesamtgesellschaftlich nutzbringend. Der Umbau in Johanngeorgenstadt hatte auch städtebaulich einen positiven Effekt. Wenn auch als NVA-Erholungsheim, so doch besser als eine Sowjetkaserne mitten im Stadtgebiet. So baute man sich seine Brücken.
Ein wirklich ziviler Nutzen war eine dreitägige Aufräumaktion auf verschiedenen Bahnhöfen entlang der Oder. Vor einem Manöver wurden mehrere Bahnhöfe, zum teil auch stillgelegte, von uns gereinigt, Türen und Fenster gestrichen, Außenanlagen aufgewertet, Müllberge beseitigt. Ein Sonderzug mit hohen Militärs befuhr diese Bahnlinie und sollte die Verwahrlosung nicht wahrnehmen.
Dabei bekamen wir sogar dankende Worte aus der Bevölkerung, die ganz verwundert diesen Aktivismus bestaunten.
Aber dies war eine absolute Ausnahme. Die meisten Bausoldateneinsätze dienten militärischen Zielen. Und somit war dieser Dienst nicht als Wehrersatzdienst zu verstehen.

Dieser Bericht ist meine subjektive Ansicht. Jeder hat seine eigenen emotionalen Gefühle in dieser Zeit entwickelt und wird diese entsprechend bewerten. Jeder hat seine physisch und psychisch Persönlichkeit und empfindet das Erlebte aus seiner Wahrnehmung. Die hier beschriebene Dienstzeit kann nicht für den gesamten Bausoldatendienst der DDR geltend gemacht werden. Zu Unterschiedlich waren die Standorte, die Arbeitsaufgaben und die beteiligten Menschen.