Niederlausitzer Fundgrube Der Heimatwanderer Nr. 9 / 1929
Die Entwickelung der Elektrizität in der Niederlausitz.
Im Anfange unseres Jahrhunderts entwickelten sich die bis dahin vornehmlich der Versorgung von Städten dienenden öffentlichen Elektrizitätswerke zu Ueberlandzentralen, ohne daß sie dadurch zu wirklichen Großunternehmungen wurden. Erst der Krieg mit seinen Notwendigkeiten schuf die elektrische Großversorgung, und diese wurde in der Nachkriegszeit durch die für die gesamte Wirtschaft gebotene Rationalisierung rasch und kräftig gefördert. Während wir zu Beginn des Krieges in Deutschland nur Stromversorgungsunternehmungen hatten, die nirgends den Flächenraum einer ganzen Provinz erfaßten und daher mit Spannungen auskamen, die nur in vereinzelten Fällen 50 KV. erreichten, wird heut fast ganz Deutschland von einem einheitlichen 100 KV.-Netz durchzogen, das die Stromerzeuger und Stromverbraucher zusammenschließt. Große Leistungszüge des RWE. und der Elektrowerke A.G. in Trattendorf und Golpa/Zschornegosda sind sogar schon für höhere Spannungen gebaut, wenn sie auch vorläufig noch mit 100 KV. betrieben werden. Sie deuten schon den Gang der Weiterentwicklung an.
Mit 100 KV Fortleitungsspannung beherrscht ein zentral gelegenes Kraftwerk ein Gebiet von 500 Kilometern Durchmesser, d. h. halb Deutschland. Daher ist Hand in Hand mit dieser Entwicklung der Leistungstechnik die Erkenntnis Allgemeingut geworden, wenn auch nach einigen Kämpfen, daß man die großen Kraftwerke auf den Fundort der Kohle oder an natürliche Wasserkräfte verlegen müsse. Als Folge verringert sich die Bedeutung örtlicher Kraftwerke, und die auf dem Ursprungsort der Energie entstehenden Zentralen wachsen ins Riesige. Als z.B. das Kraftwerk Golpa-Zschornewitz der Elektrowerke A.-G. im Jahre 1916 auf 128.000 KW. ausgebaut wurde, war es das bei weitem größte deutsche Werk. Es wurde dann durch das RWE. überholt, das in der Nachkriegszeit sein Goldenbergwerk auf 290.000 KW. ausbaute. Heut aber haben die Elektrowerke in ihren drei Kraftwerken bereits eine Maschinenleistung von 410.000 KW. im Betriebe und bauen z. Zt. ihre Werke, entsprechend den rasch steigenden Anforderungen der Großversorgung um weitere 280.000 auf 690.000 KW. aus.
Ein paar kurze Betrachtungen noch über die Entwicklung der maschinellen Einrichtungen der Elektrizitätswerke zeigen die ungeheuren Fortschritte der letzten 10 Jahre. Am auffallendsten ist, daß die Braunkohle, vor dem Kriege noch wenig beachtet, heut die deutsche Elektrizitätserzeugung beherrscht. Denn mehr als die Hälfte der deutschen Stromproduktion entfällt auf die Braunkohle. Hierzu war bahnbrechende technische Arbeit nötig. Noch Klingenberg sagt in seinem Werk „Bau großer Elektrizitätswerke“, man habe zur Zeit der Erbauung des Kraftwerks Zschornewitz geglaubt, mit der Belastung von Braunkohlekesseln nicht über 20 Kg/qm gehen zu sollen, und es sei daher als Wagnis erschienen, Zschornewitz für eine normale Kesselleistung von 25 Kg/qm zu projektieren. Die gewählte Kesseleinheit von 500 qm war dabei ebenfalls ungewöhnlich groß, und man war sehr zufrieden, die erhoffte Leistung je Kessel von etwa 12 Tonnen Dampf stündlich auch tatsächlich zu erreichen. Heut dagegen ist in Zschornewitz eine Anzahl Kessel im Betriebe, welche die vierfache Leistung haben und dabei ebenfalls mit unsortierter Braunkohle betrieben werden. Mit den Kesseln stieg die Maschinenleistung. Einheiten von je 16.000 KW. waren noch vor 10 Jahren die größten in Deutschland, und als das RWE. auf 50.000 KW. = 60.000 KVA. überging, erschien dieser Sprung auch manchem Fachmann als recht bedenklich. Aber die Konstrukteure mußten, um diese Maschinen bauen zu können, von der damals üblichen Umdrehungszahl von 1.500 auf 1.000 U/Min. zurückgehen, obwohl damit eine Verschlechterung des Dampfverbrauchs verbunden war, da die damals zur Verfügung stehenden Werkstoffe das geboten. In der Entwicklung der im Dampfverbrauch besseren 1.500tourigen Maschinentype geschah ein großer Schritt vorwärts, als im Jahre 1926 die Berliner Städtischen Elektrizitätswerke A.-G. in ihrem Klingenbergwerk Dynamos für 1.500 U/Min. mit je 44.000 KVA. aufstellte und gleichzeitig die Elektrowerke in ihren Werken solche für sogar 47.000 KVA bei derselben Umdrehungszahl.
Dem weiteren Anwachsen der elektrischen Großversorgung genügen auch diese Maschinentypen nicht mehr. Die Elektrowerke haben daher in Zusammenarbeit mit den Turbinenfabriken die neuesten Fortschritte der Werkstoffherstellung ausgenutzt, um Turbodynamos zu entwerfen, die in einer einzigen Maschinenwelle 85.000 KW. = 100.000 KVA. mit 1.500 U/Min. leisten. Es ist dabei gelungen, die Konstruktion so durchzubilden, daß die mechanische Festigkeit noch höher ist als die der vor zehn Jahren gebauten 16.000 KW.-Turbinen und die Manöverierfähigkeit dieser Maschinen dieselbe bleibt wie die der alten kleinen Typen.
Zwei derartige Maschinen sind für das Kraftwerk Zschornewitz bereits beschafft. Sechzehn moderne Kessel liefern ihnen den Dampf. Von der noch im Jahre 1915 für sehr gewagt gehaltenen Type würden nicht weniger als 80 dafür erforderlich sein. Sie würden mit Schornsteinen einen Platz von 80 : 260 Meter brauchen, während die 16 gleichwertigen modernen Kessel nur 55 : 105 Meter brauchen. Die neuen Kesselhäuser erhalten dieselben Schornsteine wie die alten, nämlich solche von 100 Meter Höhe und 5 Meter lichte Weite. Doch werden sie mit Saugzug und Unterwind, sowie Luftvorwärmung ausgerüstet. Bemerkenswert ist, daß der alte Kesseldruck von 16 Atmosphären beibehalten ist, da eine Druckerhöhung den Uebergang auf 100 oder mehr Atmosphären vorbehalten bleibt, der in absehbaren Jahren für den Großbetrieb brauchbar entwickelt sein dürfte.
Das Kraftwerk Golpa-Zschornegosda, das im Jahre 1927 mit einer erzeugten Arbeit von 1.030 Mill. KWh. an der Spitze aller Elektrizitätswerke gestanden haben dürfte, wird durch den Ausbau, wovon 270.000 KW. den allermodernsten Anforderungen entsprechen. Die Kraftwerke Trattendorf und Lauta der Elektrowerke, die mit Zschornewitz zusammen auf das 100 KV-Netz der Gesellschaft arbeiten, werden gleichzeitig durch Maschineneinheiten von je 40.000 KW. auf eine Leistungsfähigkeit von 260.000 KW. gebracht, so daß die Gesellschaft im nächsten Jahre über eine Maschinenleistung von 690.000 KW., das sind genau 1 Million PS., verfügen wird. Die Beschäftigung dieser Riesenleistung ist schon heut gesichert, dank der Elektrisierung der Berliner Stadtbahn; die dadurch weiter ermöglichten Vorteile werden sich in der gesamten deutschen Wirtschaft günstig auswirken.
Ein Gesamtüberblick über die Elektrizitätswirtschaft in der Provinz Brandenburg dürfte sicherlich unsere Leser interessieren.
Nach den Ergebnissen der Produktionserhebung im Jahre 1927 sorgten in der Provinz einschließlich Berlin 62 öffentliche Elektrizitätswerke und 372 Eigenanlagen für die Erzeugung des benötigten elektrischen Stromes. Sie besaßen zusammen eine Leistungsfähigkeit von 1.200.443 KW., wovon 948.171 KW. auf gewerbliche Betriebe und 252.272 KW. auf Eigenanlagen fallen. Von allen Betrieben und Werken zusammengenommen wurden 2.324.629.000 Kilowattstunden oder 17%. Die gesamte Steigerung entfällt auf die öffentliche Elektrizitätswerke (1926: 150.813.600, 1927: 1.889.012.000 KW.-Stunden). Die Größe der Betriebe weist bei den Gruppen recht bemerkenswerte Unterschiede auf. Eine Stromerzeuger-Leistungsfähigkeit bis 100 KW. hatten 180 Betriebe (3 öffentliche Elektrizitätswerke, 177 Eigenanlagen), 101 bis 1.000 KW. 184 Betriebe (32 öffentliche Elektrizitätswerke, 152 Eigenanlagen), 1.001 bis 5.000 KW. 39 Betriebe (8 öffentliche Elektrizitätswerke, 31 Eigenanlagen), 5.001 bis 10.000 KW. 13 Betriebe (5 öffentliche Elektrizitätswerke, 8 Eigenanlagen), über 10.000 KW. 18 Betriebe (14 öffentliche Elektrizitätswerke, 4 Eigenanlagen). Die Benutzungsdauer ist bei den kleinen Kraftanlagen geringer als bei den großen, was darin begründet sein wird, daß sie vielfach nur zur Spitzendeckung benutzt werden. Bei den Eigenanlagen ist die Ausnutzung in allen Größenklassen höher als bei den öffentl. Elektrizitätswerken.
Die Produktionserhebung gibt auch Auskunft über die Kraftquellen, die zur Erzeugung der Elektrizität benutzt werden. In Berlin arbeiten die öffentlichen Werke ausschließlich mit Steinkohlen. Auch in den Eigenanlagen herrscht die Steinkohle vor. 48.032.000 von den insgesamt erzeugten 72.431.000 KW.-Stunden wurden aus ihr gewonnen. In kleinerem Maße kommen dann noch Braunkohlenbriketts, Mischungen fester Brennstoffe, Oel und in ganz geringem Maße Gas als Mittel zur Erzeugung elektrischen Stromes zur Verwendung.
Bei den öffentlichen Elektrizitätswerken der Provinz ist zu 92 % Rohbraunkohle die Kraftquelle. Etwa 5,8 % des erzeugten elektrischen Stromes stammen aus Steinkohlen, 17.328.000 KW.-Stunden oder 1,7 % werden durch Wasserkraft gewonnen, der geringe Rest verteilt sich auf Braunkohlenbriketts, Oel und Gas. Auch die Eigenanlagen benutzten in weitgehendem Maße die Rohbraunkohle (85 %). Dann folgt als nächstgrößte Kraftquelle auch die Steinkohle (11,1 %). Aus Braunkohlenbriketts werden 1,7 %, aus Wasserkraft 0,5 % gewonnen, der Rest aus Oel und Gas.
Beide Erzeugungsgebiete (Brandenburg und Berlin) zusammengenommen stehen hinsichtlich der Stromerzeugung durch öffentliche Elektrizitätswerke unter den preußischen Provinzen, ja von allen deutschen Gebietsteilen an zweiter Stelle hinter der Rheinprovinz. Rund 23 % des in ganz Preußen und 15 % des in Deutschland von öffentlichen Elektrizitätswerken erzeugten elektrischen Stromes werden in Brandenburg-Berlin gewonnen.
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